Ohne vollendetes Selbstverständnis wird man andere niemals wahrhaft verstehen lernen.
Dann wird das ja wohl niemals gelingen, lieber Novalis, einen Anderen wahrhaft zu verstehen, magst Du jetzt denken. Wie soll ich denn zu einem vollendeten Selbstverständnis gelangen?
Vielleicht stimmt das. Und womöglich geht es genau darum: im Bewusstsein zu behalten, dass wir niemals ganz zu ergründen vermögen, was ein Anderer denkt, will, weiß, ist.
Das würde schon viel ändern; denn wie oft meinst Du, genau zu wissen, wie ein anderer „tickt“, warum er dies oder jenes getan oder unterlassen hat.
Und wüsstest Du an genau dieser Stelle zutiefst, wie es um Dich selbst bestellt ist, was Dich antreibt und motiviert zu bestimmten Handlungen und Haltungen, oder was Du wirklich brauchst, wessen Du bedarfst, dann wäre Dein Verständnis des Anderen oftmals um vieles tiefer und feiner, allein schon, weil Du erkenntest, dass seine oder ihre Verhaltens- und Denkweisen den Deinen in Wahrheit mehr ähneln, als Du es Dir eingestehen magst.
Wie oft verschleierst Du Deine eigenen Beweggründe, Deine Antriebe und Wünsche vor Dir selbst, und wie oft unterlässt Du es, Dein Denken nicht wirklich zu letzter Klarheit zu bringen?
Nein, dies hier ist keine moralische Aufforderung. Oder doch, ist sie. Aber ganz liebevoll. Eher eine Einladung:
Kümmere Dich um Dich selbst – in dem Sinne, dass Du Sorge trägst für das, was Du verstehen willst, was Du erreichen möchtest und was Dich umtreibt.
Selbstsorge ist eine philosophische Grundtugend – doch davon ein ander Mal.